AG-Friedenserziehung – Geschichte besucht Konzentrationslager Breendonk

Friedensglocke läutet zum ersten Mal in Belgien –

Schüler von Führung nachhaltig beeindruckt

Bericht Rhein-Zeitung 17.09.2019

Es ist ein stürmischer Morgen, an dem sich die Gruppe der AG-Friedenserziehung mit ihren zwei Begleitern Nadine Krämer und Lars Limbach aus dem Bus schält und Kurs auf den klotzigen, mit Wassergraben, Stacheldraht und Wachtürmen versehenen Betonbau nehmen. „HALT! Wie verder gaat woord doodgeschooten!“(„Halt! Wer weitergeht wird erschossen!), warnt uns ein Schild am Eingangstor des Konzentrationslagers Breendonk. In dem kleinen, geduckten Informationsgebäude neben dem mit doppeltem Stacheldraht versehenen Eingangstor meldet Herr Limbach unsere kleine Reisegruppe auf Niederländisch an. Er berichtet der Dame an der Rezeption von unserer Arbeit, AG-Friedenserziehung-Geschichte und dass wir auf einer besonderen Mission mit „onze vredesbel“ (unsere Friedensglocke) auf dem Weg nach Ypern seien. Ein sympathischer, älterer Herr mit grauem Oberlippenbart und Lesebrille beobachtet die kleine Szene lächelnd und beteiligt sich dann interessiert am Gespräch. Danach gibt er sich auf Deutsch als unser Guide, Eddy van den Bussche, für die zweieinhalbstündige Führung durch das KZ-Sammellager Breendonk zu erkennen.
Vor dem Betreten des Konzentrationslagers gibt Herr van den Bussche einen kurzen geschichtlichen Abriss über die einstige Festung Breendonk. Vom Bau 1909, der Rolle im 1. Weltkrieg über die Nutzung der Nationalsozialisten als KZ-Sammel-/Auffanglager im 2. Weltkrieg bis heute als Gedenkort für die Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen. Als die Gruppe über die Zugbrücke zum Eingang geführt wird, macht Eddy zweimal Stopp: „Hier verloren die Gefangenen erst ihre Namen – sie wurden zu Sachen und Nummern.“ Ein paar Schritte weiter vor dem Eingangstunnel: „Und ab hier verloren die Menschen all ihre Rechte und damit ihre Würde. Was macht das wohl aus einem Menschen…?“

Der Begriff „Würde“ wird uns an diesem Morgen noch oft begegnen, denn van den Bussche findet es wichtig, unseren Blick immer wieder auch auf die Gegenwart und die Menschenrechtscharta (1948) zu lenken: „Alle Menschen sind von Geburt an frei und gleich in ihrer Würde und ihren Rechten.” Manche Schüler schauen sich wissend an, denn damit stellt er – unbewusst – den ersten Bezug zu unserer Friedensglocke her, die am 21.09.2018 in Erinnerung an diese „Anerkennung der unantastbaren Würde aller Menschen, frei von Diskriminierung“ zum ersten Mal vor unserer Schule läutete.
Während wir durch die dunkeln Gänge des erhaltenen Forts geführt werden, gelangen wir auch in den „Raum der Namen“, an dessen Wänden alle deportierten Opfer des Auffanglagers aufgezeichnet wurden, denn die Insassen wurden nach kurzer Zeit erst nach Mechelen und von dort nach Auschwitz, Natzweiler, Theresienstadt oder andere Konzentrationslager der deutschen Besatzer gebracht.

Diese Orte werden in Form von großen, grauen Urnen symbolisiert. Von 1940-1944 waren ca. 3530 Menschen in diesen Mauern inhaftiert, die Hälfte überlebte diesen Aufenthalt nicht. Es handelte sich um Menschen jüdischen Glaubens, politisch Gefangene und Widerstandskämpfer. Van den Bussche erzählt uns von einem jüdischen Häftling, der sich versehentlich auf eine Bank gesetzt hat, die nur für „Arier“ vorbehalten war und deshalb von einer Polizeistreife verhaftet und später nach Breendonk verbracht wurde. Sein großformatiges Foto im Küchentrakt zeigt einen sehr kleinen schmalen Mann. Er sprach wie viele andere kein Deutsch, die Sprache der Wächter und Täter, und konnte so nicht einmal auf die gebrüllten Kommandos der SS-Männer reagieren, was ihm regelmäßig Prügel bescherte. Später sehen wir ein Foto von ihm auf dem Appellplatz. Der ohnehin schon schmale Mann ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Das Resultat von wenigen Wochen Mangelernährung und Schwerstarbeit. Er wird später von seinen Peinigern brutal erschlagen. Gewalt, Misshandlung, das Hungerleiden und körperliche Schwerstarbeit waren in Breendonk an der Tagesordnung. So demonstriert van den Bussche am Schüler Al-Kassim Nabhan, wie lange man manchmal im Innenhof stehen musste, ohne sich umdrehen zu dürfen. Hungernde Häftlinge gingen sogar soweit, dass sie Gras aßen oder Brotrinden, die in der Jauche der Tiere lagen. Sanitäre Anlagen waren zwar vorhanden, aber es durfte immer nur zu gewissen Zeiten die Notdurft verrichtet werden und das auch nur auf Kommando der Peiniger. „Nur die Nachtruhe versprach eine trügerische Sicherheit. Wenn man in den Drei-Etagen-Betten lag, war man für ein paar Stunden der körperlichen Misshandlung entronnen. Jetzt fing die seelische an, denn unweit der Häftlingszellen befand sich die Folterkammer der SS. „Von dort drangen die Schreie derer, die verhört wurden über die Flure“, erklärt van den Bussche.
„Ich habe einen Überlebenden gefragt, was ihn am stärksten an seinen Aufenthalt in Breendonk erinnere. Er sagte: `Ich höre heute noch, wie unsere Zellentür entriegelt wird und der große Haken mit einem lauten Knall absichtlich gegen den Türrahmen fallengelassen wird. Das war das Zeichen: Die Sicherheit der Nacht ist vorbei, die Hölle geht weiter!´“ Ebenso mussten auch weibliche Häftlinge stundenlang in ihren gut einsehbaren Einzelzellen stehen, ohne ein Wort mit der Zellennachbarin wechseln zu dürfen. Nach dem Besuch der Folterkammer ist jedem klar, mit welchen barbarischen Mitteln die SS nicht nur gegen Menschen des Widerstandes vorgegangen ist, egal, ob Mann oder Frau.

Manche Häftlinge finden sich am Ende auf dem Exekutionsplatz wieder, wo ihre Henker sie mit dem Gewehr oder dem Strick umbringen. Neben dem Galgen schauen uns auf einem Banner zahllose Fotografien der Ermordeten an.

Der Wind bläht das Banner auf. „301 Fotos von Gesichtern sagen mehr als 301 geschriebene Namen. Das bleibt eher im Gedächtnis, nicht wahr?“, beendet Eddy van den Bussche seine Führung am Exekutionsplatz und er behält Recht. Die Gruppe ist still, der Wind weht zwischen den Stacheldrahtpfosten hindurch hinüber auf die freien Wiesen.
Auf dem Rückweg kommt unsere Gruppe mit van den Bussche noch einmal ins Gespräch über Würde, Menschenrechte und die Arbeit unserer AG. Er findet es wichtig, dass unsere Gruppe junger Menschen sich dafür interessiert und diesen Ort besucht. „Aus dem Wissen der Vergangenheit lernen und Gedenken weitergeben, darauf kommt es heute an, deshalb mache ich das.“ Er kommt auf unsere Friedensglocke zurück. „Ja, die haben wir dabei“, sagt Lukas Reihs und Luis Ermert fragt: „Dürften wir sie denn hier in Breendonk im Gedenken an die Opfer läuten?“ Herr van den Bussche findet das eine gute und wichtige Idee. Luis und Lukas holen die Glocke aus dem Bus und tragen sie langsam über die Auffahrt, auf denen die Opfer ihren Weg in die Hölle von Breendonk gehen mussten.

Die Gruppe bildet einen Kreis vor dem Eingang des Konzentrationslagers. Herr Limbach spricht einleitende Worte des Gedenkens. Dann läutet Eddy van den Bussche die Glocke drei Mal vor der Zugbrücke, die hellen Töne werden vom frischen Wind, welcher der Sonne endlich einen Blick durch die Wolken gewährt, in alle Richtungen weitergetragen.
Eddy van den Bussche durchbricht die Stille und zeigt mit dem Finger nach oben und sagt: „Das ist für die!“ In diesem bewegenden Moment wissen wir alle, wer gemeint ist.

Die AG-Friedenserziehung-Geschichte dankt ausdrücklich Herrn Eddy van der Bussche für die bewegende und beeindruckende Führung! Der Gedenkstätte Breendonk danken wir, dass wir im Gedenken an die Opfer unsere Friedensglocke läuten durften. 

Text: AG-Geschichte
Fotos: Hannes Johne, Jonathan Trippler, Lars Limbach

Dieser Beitrag wurde am Mittwoch, 08. Mai 2019 um 17:07 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Aktuell abgelegt.

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